Aktueller Stand der EU-Regelungsvorhaben im Zusammenhang mit Green Claims
Wir danken an dieser Stelle Sarah Lena Mines, Referendarin in der Wahlstation, für Ihre großartige Unterstützung zu diesem Beitrag.
Unter dem Schlagwort „Schutz vor Greenwashing“ sind aktuell die europäischen Gesetzgebungsorgane bemüht, den rechtlichen Rahmen für umweltbezogene Werbeaussagen weiter zu schärfen. Wir geben Ihnen einen Überblick über den aktuellen Stand der wesentlichen Gesetzgebungsvorhaben und deren wesentlichen Inhalt.
1. Rechtliche Ausgangslage
Im deutschen und europäischen Lauterkeitsrecht gibt es bisher keine spezifischen gesetzlichen Regelungen für umweltbezogene Werbeaussagen (sog. „Green Claims“). Diese unterliegen den allgemeinen Regeln der UGP-Richtlinie und der Richtlinie über vergleichende Werbung sowie dem Irreführungsverbot nach §§ 5, 5a UWG. Werbeclaims wie „umweltfreundlich“, „klimaneutral“ oder „CO2-reduziert“ werden also an den gleichen Normen und Maßstäben gemessen wie andere Werbeaussagen.
Einer Studie der EU im November 2020 zufolge waren mehr als die Hälfte der umweltbezogenen Angaben nicht ausreichend begründet oder verifiziert. Dass solche umweltbezogenen Werbeaussagen und Zeichen Relevanz für die Kaufentscheidung der Verbraucher haben, zeigt beispielhaft das Ergebnis des Eurobarometer 2020: 94 % der Befragten gaben an, dass Umweltschutz für sie persönlich wichtig ist, und 68 % der Befragten stimmten zu, dass sich ihr Konsumverhalten negativ auf die Umwelt auswirkt.
Die Europäische Kommission nimmt dies aktuell zum Anlass, verbindliche Standards für Werbung mit Green Claims auf EU-Ebene einzuführen. Dieses Anliegen verfolgt sie im Wesentlichen mit zwei neuen Richtlinienvorschlägen:
2. Überblick über die EmpCo-Richtlinie
Die „Richtlinie zur Änderung der Richtlinien 2005/29/EG hinsichtlich der Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und bessere Informationen“ („Empowering-Consumers-Richtlinie“ bzw. „EmpCo-Richtlinie“) wurde von der Kommission bereits am 31. März 2022 vorgeschlagen. Am 19. September 2023 erzielten das Europäische Parlament und der Rat eine vorläufige Einigung.
Das zentrale Anliegen der EmpCo-Richtlinie ist, Verbraucherrechte im Kontext nachhaltiger Konsumentscheidungen zu stärken. Sie sieht unter anderem vor, dass Unternehmen verpflichtet werden, transparente und leicht verständliche Informationen über die Umweltauswirkungen ihrer Produkte und Dienstleistungen bereitzustellen. Hierfür sieht sie unter anderem Änderungen an der UGP-Richtlinie vor:
- In Art. 2 lit. o der UGP-Richtlinie soll die „Umweltaussage“ legaldefiniert werden. Darunter soll jede Darstellung fallen, wonach „ein Produkt oder Gewerbetreibender eine positive oder keine Auswirkung auf die Umwelt hat oder weniger schädlich für die Umwelt ist als andere Produkte bzw. Gewerbetreibende“. Unter die Definition der „allgemeinen Umweltaussage“ fallen insbesondere Angaben wie „umweltfreundlich“, „umweltschonend“, „CO2-neutral“ oder auch „biologisch abbaubar“.
- Die Irreführungstatbestände der Art. 6 UGP-Richtlinie werden ergänzt um Umweltaussagen „über die künftige Umweltleistung ohne klare, objektive und überprüfbare Verpflichtungen und Ziele sowie ein unabhängiges Überwachungssystem“ sowie die „Werbung mit Vorteilen für Verbraucher, die in dem betreffenden Markt als gängige Praxis gelten“.
- Auch die Verwendung von Nachhaltigkeitssiegeln ist künftig nur noch dann zulässig, wenn dieses auf einem Zertifizierungssystem beruht oder von staatlichen Stellen festgesetzt wurde.
- Die „schwarze Liste“ im Anhang der UGP-Richtlinie wird außerdem erweitert. So soll es künftig insbesondere unlauter sein, eine allgemeine Umweltaussage zu treffen, „bei der der Gewerbetreibende für die anerkannte hervorragende Umweltleistung, auf die sich die Aussage bezieht, keine Nachweise erbringen kann“. Ebenso unzulässig ist das „Treffen einer Umweltaussage zum gesamten Produkt, wenn sie sich tatsächlich nur auf einen bestimmten Aspekt des Produkts bezieht.“
Derzeit ist die förmliche Annahme der Richtlinie durch das Europäische Parlament und den Rat noch ausstehend, mit ihrer Verkündung wird aber im Frühjahr 2024 gerechnet.
3. Überblick über die Green-Claims-Richtlinie
Die „Richtlinie über die Begründung ausdrücklicher Umweltaussagen und die diesbezügliche Kommunikation („Green-Claims-Richtlinie“) wurde von der Kommission am 22. März 2023 vorgeschlagen. Sie sieht deutlich verschärfte Anforderungen an die Substantiierung, Kommunikation, Kennzeichnung und Verifizierung von „Green Claims“ vor.
Ihr Anwendungsbereich ist die „ausdrückliche Umweltaussage“, für die sie gegenüber der UGP-Richtlinie lex specialis ist. Hierunter fallen alle nicht durch EU- oder nationales Recht geforderten kommerziellen Aussagen, die ein Produkt oder ein Unternehmen als umweltfreundlich oder weniger umweltschädlich als andere darstellen. Diese Aussagen können als Texte oder Umweltsiegel erfolgen; die „Ausdrücklichkeit“ wird also durch die Darstellungsform, nicht durch den Inhalt bestimmt.
Kernregelung der Richtlinie ist, dass ausdrückliche Umweltaussagen künftig der zwingenden Vorab-Zertifizierung durch eine „akkreditierte unabhängige Konformitätsbewertungsstelle“ bedürfen. Dieser Stelle sind Nachweise zur Substantiierung der geplanten Umweltaussage vorzulegen. Sie führt daraufhin eine Konformitätsbewertung durch, wobei alle für die Umweltaussage relevanten Umweltauswirkungen geprüft werden. Erst, wenn die Stelle daraufhin eine Konformitätsbescheinigung ausgestellt hat, darf die Umweltaussage in die Werbekommunikation aufgenommen werden.
Die Anforderungen der ex-ante-Zertifizierung können kostspielig sein: Die Kommission selbst schätzt in der Folgenabschätzung des Richtlinienentwurfs die Kosten für die Berechnung des Umweltfußabdrucks eines Produkts auf etwa 8.000 EUR, für den Fußabdruck des Unternehmens auf 54.000 EUR.
Die inhaltliche Anforderungen an die Begründung der Umweltaussage ergeben sich aus Art. 3 der Green-Claims-Richtlinie:
- Jede Umweltaussage muss durch aktuelle, allgemein anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt werden.
- Es muss angegeben werden, ob sich die Umweltaussage auf das Produkt als Ganzes oder nur auf einen bestimmten Aspekt bezieht.
- Es müssen alle Umweltauswirkungen über den gesamten Lebenszyklus des Produkts umfasst werden.
- Auch mögliche negative Umweltauswirkungen des Produkts, beispielsweise ein erhöhter Plastikverbrauch bei verbesserter CO2-Bilanz, müssen erfasst werden.
- Mit Selbstverständlichkeiten, etwa der Erfüllung gesetzlicher Anforderungen oder der Einhaltung gängiger Praxis, darf nicht geworben werden.
- Für den Fall, dass die Umweltaussage im Vergleich mit einem anderen Produkt oder anderen Unternehmen erfolgt, sind alle für den Vergleich relevanten Daten und Informationen, die in gleichwertiger Weise erlangt wurden, anzugeben (Art. 4 Green-Claims-Richtlinie).
Auch Umweltzeichen bedürfen gemäß Art. 8 Green-Claims-Richtlinie künftig der Zertifizierung. Es sollen künftig keine neuen nationalen oder regionalen Umweltzeichensysteme durch die Behörden der Mitgliedsstaaten mehr eingeführt werden. Private Umweltzeichensysteme bedürfen der Genehmigung durch die EU-Kommission, die nur zu erteilen ist, wenn sie im Vergleich zu den bestehenden Umweltzeichensystemen einen Mehrwert bieten.
Aber auch eine zertifizierte Umweltaussage darf nicht uneingeschränkt in der Werbung verwendet werden, sondern muss entsprechend der Vorgaben des Art. 5 Green-Claims-Richtlinie kommuniziert werden. Sie darf sich nicht auf allgemeine und ungenaue Begriffe wie „klimafreundlich“, „umweltfreundlich“ oder „klimaneutral“ beschränken, sondern muss sich auf konkrete Aspekte beziehen. Zudem müssen alle relevanten Informationen zu der Umweltaussage (in physischer Form oder über einen QR-Code/ Weblink etc.) öffentlich bereitgestellt werden, einschließlich der Begründung bzw. Substantiierung und der Konformitätsbescheinigung.
Besondere Anforderungen gelten zudem bei der Kompensation von Treibhausgassen, denn hier muss dargelegt werden, ob die Kompensation auf einer Minderung von Emissionen oder der Entnahme von Treibhausgasen beruht und in welchem Umfang die Kompensation erfolgt.
Ausgenommen von all diesen Vorgaben sind Kleinstunternehmen, also mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Umsatz unter 2 Mio. EUR.
Die Richtlinie wird aktuell noch im Europäischen Parlament und im Rat beraten. Mit ihrer Einbringung in das Parlamentsplenum wird im März 2024 gerechnet. Sofern die Richtlinie noch in der bis kommenden Juni laufenden Legislaturperiode verabschiedet wird, könnte sie noch 2024 in Kraft.
4. Schlussfolgerungen für Ihr Unternehmen
Sobald die Richtlinien in Kraft treten, sind sie von den Mitgliedsstaaten binnen 18 Monaten in nationales Recht umzusetzen und nach weiteren sechs Monaten anzuwenden. Schon jetzt sind umweltbezogene Werbeaussagen und Nachhaltigkeitssiegel regelmäßig Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen. Es steht zu erwarten, dass dies mit der kommenden Verschärfung der rechtlichen Vorgaben auch in Zukunft anhalten wird. Denn auch wenn die Richtlinien noch nicht in Kraft getreten sind, ist bereits absehbar, dass Werbung mit Green Claims und Nachhaltigkeitssiegeln künftig nur noch unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig sein wird.
Folgende Empfehlungen möchten wir aussprechen:
- Überprüfung von Green Claims: Lassen Sie bereits jetzt Ihre aktuellen und geplanten Umweltaussagen rechtlich überprüfen, um rechtssicher am „grünen Wettbewerb“ teilzunehmen.
- Beratung zu künftigen Anforderungen: Lassen Sie sich frühzeitig über die spezifischen Anforderungen der neuen EU-Richtlinien informieren und hierzu beraten. Bis zur vollständigen Umsetzung der Richtlinien gilt es sicherzustellen, dass Ihre umweltbezogenen Aussagen hinreichend substantiiert sind. Dies setzt einen erheblichen zeitlichen Vorlauf voraus, da die Umweltauswirkungen des gesamten Produktions- und Lebenszyklus Ihrer Produkte in den Blick zu nehmen und zu belegen sind. Erst dann kann der Prozess der Konformitätsbewertung begonnen werden, um die Umweltaussage auch künftig verwenden zu dürfen.
- Strategische Beratung: Lassen Sie sich strategisch bei der Entwicklung von nachhaltigen und rechtlich abgesicherten Marketingstrategien beraten, um die Vorteile umweltbezogener Werbung effektiv zu nutzen und gleichzeitig rechtliche Risiken zu minimieren. Implementieren Sie Compliance-Strukturen, um die Einhaltung der aktuellen und künftigen rechtlichen Regelungen zu gewährleisten.
- Schulung und Bewusstseinsschaffung: Schulen Sie Ihre Marketing- und Compliance-Teams, um ein tiefgehendes Verständnis der rechtlichen Rahmenbedingungen umweltbezogener Werbung zu gewährleisten. So sensibilisieren Sie Ihre Mitarbeiter für die Bedeutung und die Auswirkungen von Green Claims auf Ihr Unternehmensimage und die Kundenbeziehungen.
- Vertretung und Rechtsbeistand: Sollte es doch zu rechtlichen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Green Claims oder Auseinandersetzungen mit den zuständigen Behörden kommen, lassen Sie sich kompetent beraten und vertreten.
Eine externe Rechtsberatung ist unverzichtbar, um auch weiter rechtlich im grünen Bereich zu agieren. Wir stehen Ihnen bei diesen Herausforderungen gerne zur Seite, um Ihr Marketing rechtssicher auszugestalten oder Ihre Interessen gerichtlich wie außergerichtlich zu vertreten.
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