Die Novembermann-Entscheidung des BGH – Folgeprobleme bei der Geltendmachung des Abmahnkostenerstattungsanspruchs, insbesondere in Lieferketten
Zu diesem Thema ausführlich Teil 1 unseres Blogbeitrags zur Novembermann-Entscheidung.
Dies führt in der Praxis aber nicht nur zu deutlich niedrigeren Abmahngebühren, sondern zu einer Vielzahl von Folgeproblemen bei der Geltendmachung des Anspruchs auf Erstattung der Abmahnkosten. Insbesondere in Lieferketten können die einzelnen Stufen der Lieferkette oft erst nach und nach durch den geltend gemachten Auskunftsanspruch ermittelt werden. Da die Abmahnungen in derartigen Fällen also üblicherweise zeitlich versetzt erfolgen, stellt sich die Frage, wie und in welcher Höhe der Erstattungsanspruch gegenüber den einzelnen Verletzern geltend gemacht werden soll. Werden Abmahnkosten zunächst in voller Höhe geltend gemacht, könnte sich der Anspruch nachträglich durch weitere Abmahnungen in derselben Angelegenheit verringern. Werden die Abmahnkosten hingegen zunächst nur anteilig geltend gemacht, könnte sich der Anspruch nachträglich erhöhen, wenn durch unterschiedliche Reaktionen aus einer Angelegenheit mehrere werden.
Nachfolgend geben wir einen kurzen Überblick über mögliche Lösungsansätze, wie mit dem Problem in der Praxis umgegangen werden könnte:
1. Wie kann der Abmahnkostenerstattungsanspruch bei Ungewissheit über etwaige weitere gleichgelagerte Abmahnungen geltend gemacht werden?
Wird ein Händler abgemahnt und neben dem Unterlassungs- auch ein Auskunftsanspruch geltend gemacht, ist es zwar einerseits nicht unwahrscheinlich, dass sich der Mandant zu einem Vorgehen gegen weitere Handelsstufen der Lieferkette entscheidet und somit weitere gleichgelagerte Abmahnungen ausgesprochen werden. Andererseits ist jedoch ungewiss, ob der Auskunftsanspruch erfüllt werden wird, wie viele Handelsstufen die Lieferkette umfasst und ob sich der Mandant überhaupt zu einem weiteren Vorgehen entscheidet.
Es ist somit zum Zeitpunkt der Erstellung der Abmahnung ungewiss, ob und wenn ja, wie viele Abmahnungen folgen werden.
Es stellt sich deshalb die Frage, ob der Kostenerstattungsanspruch in der Abmahnung in voller Höhe geltend gemacht werden sollte – was das Folgeproblem nach sich zieht, wie nach weiteren Abmahnungen gegen (Zwischen-)Händler zu verfahren ist – oder ob bereits berücksichtigt werden sollte, dass sich die Höhe des Anspruchs später möglicherweise reduzieren wird.
Als Reaktion auf die Novembermann-Entscheidung des BGH wird zur Vermeidung eines etwaigen Rückzahlungsanspruchs vielfach empfohlen, den Abmahnungen zunächst noch keine Kostenrechnung beizufügen und noch keine Erstattung eines konkreten Betrags zu verlangen, sondern den Erstattungsanspruch vorzubehalten bis absehbar ist, wie viele Abmahnungen in dieser Angelegenheit erfolgen werden (vgl. Goldmann in: BeckOK Markenrecht, 38. Edition, Stand: 1.7.2024, § 14 MarkenG Rn. 913.1; Brau, GRUR-Prax 2022, 501, 502 f.; Büscher, GRUR 2021, 162, 167). Nur so kann sichergestellt werden, dass nicht zu viel gefordert wird.
Ein weiterer Vorteil dieser Vorgehensweise zeigt sich in Fällen, in denen mehrere Verletzer gleichzeitig abgemahnt wurden, und diese unterschiedlich auf die Abmahnungen reagieren. Denn eine unterschiedliche Reaktion führt regelmäßig dazu, dass nachträglich aus einer einheitlichen Angelegenheit mehrere Angelegenheiten werden, sodass sich der Erstattungsanspruch nachträglich erhöht. Wird aber die Höhe des Erstattungsanspruchs in der Abmahnung auf Grundlage des Gesamtgegenstandswerts berechnet und von dem Abgemahnten auch bereits beglichen, so müsste nachträglich noch einmal auf die Angelegenheit zurückgekommen und die Zahlung der Differenz verlangt werden. Dies dürfte regelmäßig auf deutlich größeren Widerstand stoßen als wenn die konkrete Bezifferung vorbehalten und sodann die höhere Erstattung auf Grundlage des Einzelgegenstandwerts gefordert wird. Da eine gerichtliche Geltendmachung der Differenz nur selten wirtschaftlich sein dürfte, steht zu befürchten, dass der Mandant in diesen Fällen oftmals auf dem Differenzbetrag sitzen bleiben wird.
Dies gilt außerdem für Fälle, in denen sich die Parteien bereits auf eine Pauschalzahlung zur Abgeltung der Angelegenheit geeinigt haben. Nach Vereinbarung einer Pauschalzahlung dürfte es regelmäßig ausgeschlossen sein, nachträglich einen höheren Betrag zu fordern. Um zu vermeiden, dass eine Pauschalzahlung auf Grundlage eines zu niedrigen Gebührenerstattungsanspruchs vereinbart wird, kann es somit vorteilhaft sein, erst einmal abzuwarten bis der endgültige Betrag feststeht.
Andererseits könnte diese Vorgehensweise je nach geltend gemachten Schutzrechten in Konflikt mit spezialgesetzlichen Vorgaben stehen. So heißt es beispielsweise in § 13 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3, 4 UWG, dass in der Abmahnung klar und verständlich angegeben werden muss, ob und in welcher Höhe ein Aufwendungsersatz geltend gemacht wird und wie sich dieser berechnet. Etwas mehr Spielraum lässt hingegen § 97a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 UrhG, wonach ein geltend gemachter Zahlungsanspruch lediglich als Schadensersatz- und Aufwendungsersatzanspruch aufzuschlüsseln ist. Ob die spezialgesetzlichen Vorschriften vor dem Hintergrund der Ungewissheit über die endgültige Höhe des Abmahnkostenerstattungsanspruchs in bestimmten Fällen einschränkend auszulegen sind, wurde soweit ersichtlich in der Rechtsprechung bislang nicht entschieden. Jedenfalls in wettbewerbsrechtlichen Angelegenheiten dürfte somit zur Vermeidung einer Gegenabmahnung wegen eines Verstoßes gegen § 13 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3, 4 UWG eine Geltendmachung des Erstattungsanspruch in voller Höhe berechnet auf Grundlage der zum Zeitpunkt der Abmahnung bekannten Informationen der sicherste Weg sein.
Aus rein praktischer Sicht spricht für eine Geltendmachung in voller Höhe außerdem, dass sich die Aufklärung der vollständigen Lieferkette nicht selten über mehrere Monate oder sogar Jahre hinziehen kann. Denn erst dann stünde die endgültige Höhe des Erstattungsanspruchs gegenüber den einzelnen Verletzern fest, sodass die Angelegenheit bis dahin nicht abgeschlossen werden könnte. Dies hätte gleich mehrere Nachteile: Zum einen würde der Mandant in diesem Zeitraum auf den Kosten sitzen bleiben, was regelmäßig nicht in seinem Interesse sein dürfte. Zum anderen müsste nach Aufklärung der Lieferkette auf Abgemahnte zugegangen werden, deren Rechtsverletzung Monate oder sogar Jahre zurückliegt und deren Zahlungsbereitschaft dementsprechend gering sein dürfte. Auch Einigungsverhandlungen über die Zahlung eines Pauschalbetrags würden erheblich erschwert, wenn die Höhe des Erstattungsanspruch noch vollkommen ungewiss ist.
Ob der Kostenerstattungsanspruch in der Abmahnung bereits beziffert oder lediglich vorbehalten werden sollte, lässt sich somit nicht pauschal beantworten, sondern dürfte in erster Linie von dem betroffenen Rechtsgebiet und daneben von dem Mandanteninteresse abhängen. So mögen manche Mandanten ein Interesse an der Vermeidung etwaiger Rückerstattungsansprüche gegen sich haben, während andere Mandanten eine möglichst schnelle Begleichung des eigenen Erstattungsanspruchs bevorzugen.
2. Bestehen besondere Informationspflichten?
Steht schon zum Zeitpunkt der Abmahnung fest, dass weitere Abmahnungen in derselben Angelegenheit erfolgt sind oder erfolgen werden, so ist der Erstattungsanspruch auf Grundlage des Gesamtgegenstandswerts anteilig zu berechnen. Da die Höhe des geforderten Betrags – zumindest nach einigen spezialgesetzlichen Regelungen – aufzuschlüsseln ist, dürfte zumindest insoweit eine Informationspflicht bestehen, als die für die Berechnung notwendigen Informationen anzugeben sind. Dies dürfte zumindest den Gesamtgegenstandswert sowie den auf den jeweiligen Abgemahnten entfallenden Bruchteil umfassen. Eine Pflicht zur Offenlegung, wen der Abmahnende abgemahnt hat und wie viele Rechtsverletzungen er den anderen Abgemahnten vorgeworfen hat, dürfte hingegen zu weit führen (so auch Büscher, GRUR 2021, 162, 167, der allerdings eine Offenlegungspflicht für möglich hält, sollte der Abgemahnte konkrete Anhaltspunkte dafür vortragen, dass die Berechnung der Abmahnkosten unzutreffend erfolgt sei).
Werden die Abmahnkosten zunächst in voller Höhe geltend gemacht und erstattet, reduziert sich die Anspruchshöhe jedoch nachträglich, dürfte dem Abgemahnten ein Anspruch auf Rückzahlung des zu viel gezahlten Betrags aus unberechtigter Bereicherung zustehen. Fraglich ist jedoch, ob deshalb eine dahingehende Informationspflicht des Abmahnenden besteht, dem Abgemahnten mitzuteilen, wenn später weitere Abmahnungen in derselben Angelegenheit erfolgen. Soweit ersichtlich wurde dieses Problem in der Rechtsprechung bislang nicht thematisiert.
Jedenfalls in Fällen, in denen mit dem Abgemahnten bereits eine Einigung geschlossen und im Rahmen dessen eine Pauschale zur Abgeltung aller Ansprüche gezahlt wurde, dürfte jedenfalls kein Anspruch auf Rückzahlung und dementsprechend auch keine Informationspflicht bestehen. Denn in der Vereinbarung einer Pauschalzahlung dürfte regelmäßig ein Rechtsgrund für die Zahlung zu sehen sein, sodass ein Anspruch aus unberechtigter Bereicherung abzulehnen wäre.
Dies ist auch interessengerecht, denn zum einen lässt sich gar nicht beziffern, welcher Anteil der Pauschale auf den Erstattungsanspruch entfällt bzw. in welcher Höhe die Pauschale vereinbart worden wäre, hätten die Parteien die tatsächliche Höhe des Erstattungsanspruchs bereits anfänglich gekannt. Zum anderen dient eine solche Einigung gerade dazu, die Angelegenheit abzuschließen und Rechtsfrieden zu finden, wobei im Interesse einer außergerichtlichen Beilegung in Kauf genommen wird, dass die Pauschale regelmäßig nicht den tatsächlich geschuldeten Betrag widerspiegelt. Denn auch die Höhe eines Schadensersatzanspruchs steht in IP-Angelegenheiten nicht zweifelsfrei fest, sondern wird von den Parteien regelmäßig bloß geschätzt.
Vielfach dürfte in diesen Fällen eine Informationspflicht aber schon deswegen abzulehnen sein, weil es sich wegen der Verhandlung über eine Pauschale regelmäßig nicht mehr um dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne handelt. Denn unterschiedliche Reaktionen führen dazu, dass aus einer Angelegenheit mehrere Angelegenheiten werden, wenn deshalb eine gesonderte, differenzierte Bearbeitung durch den Rechtsanwalt erforderlich wird (vgl. BGH GRUR-RR 2011, 389 Rn. 10 – www.bild.de; BGH GRUR-RR 2012, 90 Rn. 25 – Rosenkrieg II). Dies dürfte bei Verhandlungen über eine Einigung und die Zahlung einer Pauschale regelmäßig anzunehmen sein, da dies üblicherweise (mehrfach) Schriftverkehr bzw. Telefonate sowohl mit der Gegenseite als auch zur Abstimmung mit dem Mandanten erfordert und damit eine differenzierte Bearbeitung.
3. Merkpunkte für Praxis
Werden unterschiedliche Verletzer wegen gleichgelagerter Rechtverletzungen abgemahnt, ist für die Geltendmachung des Abmahnkostenerstattungsanspruchs stets zu prüfen, ob es sich nach der Novembermann-Rechtsprechung gebührenrechtlich um dieselbe Angelegenheit handelt. Hilfestellung bieten dabei die in Teil 1 dieser Blogbeitragsreihe aufgeführten Kriterien.
Bei der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs sollten sodann insbesondere folgende Punkte beachtete werden:
- Sofern es sich um eine einheitliche Angelegenheit handelt, ist ein Gesamtgegenstandswert zu bilden und die jeweilige Gebühr in Relation zu den einzelnen Gegenstandswerten (die je nach Wert und Angriffsfaktor und je nachdem, ob zusätzlich Schadensersatz o.ä. geltend gemacht wird, variieren können) zu berechnen.
- In der Abmahnung sollte die Berechnungsgrundlage des geltend gemachten Betrags aufgeschlüsselt werden, wobei zumindest der Gesamtgegenstandswert sowie der auf den jeweiligen Abgemahnten entfallenden Bruchteil anzugeben sein dürften.
- Lässt sich zum Zeitpunkt der Abmahnung zwar bereits absehen, dass weitere gleichgelagerte Abmahnungen folgen könnten, nicht jedoch wie viele und mit welchem Gegenstandswert, so ist zu überlegen und ggf. mit dem Mandanten abzustimmen, wie hinsichtlich der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs verfahren werden soll. Dieses Problem wird sich insbesondere stellen, wenn gegen einen Händler vorgegangen wird, hinter dem eine aus mehreren Handelsstufen bestehende Lieferkette steht. Hier bestehen insbesondere folgende Optionen:
1) Geltendmachung des Erstattungsanspruchs in Höhe der auf Grundlage des einfachen Gegenstandswerts berechneten Gebühren – mit dem Risiko, dass im Falle weiterer Abmahnungen ein Rückforderungsanspruch entstehen könnte
2) Vorbehaltung des Erstattungsanspruchs ohne konkrete Bezifferung – mit dem Risiko, dass der Mandant unter Umständen lange auf die Erstattung warten muss und der Abgemahnte mit fortschreitendem Zeitablauf nicht mehr gewillt sein könnte, die Kosten außergerichtlich zu erstatten
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