EuGH erleichtert Rechtsschutz für Werke der angewandten Kunst aus Drittstaaten
In unserem Beitrag zeigen wir auf, wie der EuGH zu seiner Entscheidung gekommen ist und welche neuen Rechtsschutzmöglichkeiten Designer aus Drittstaaten nun haben.
1. Rechtlicher Rahmen
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht Art. 2 Abs. 7 der Revidierten Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (RBÜ) und sein Verhältnis zum harmonisierten Unionsurheberrecht. Die aktuelle Fassung der 1887 erstmals in Kraft getretenen RBÜ, der weltweit 181 Mitglieder beigetreten sind, stammt aus dem Jahr 1971. Vertragsstaaten sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einschließlich Deutschlands, nicht aber die Europäische Union selbst – diese hat sich jedoch im Urheberrechtsvertrag der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WCT) zur Anwendung der Art. 1 bis 21 RBÜ verpflichtet.
Art. 2 Abs. 7 S. 2 RBÜ enthält für Werke der angewandten Kunst den Grundsatz der materiellen Gegenseitigkeit, wonach solche Werke in einem Vertragsstaat nur dann urheberrechtlichen Schutz genießen sollen, wenn sie auch in ihrem Ursprungsland urheberrechtlich – und nicht etwa „nur“ als Design – geschützt sind. Auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 7 S. 2 RBÜ wurde Werken der angewandten Kunst in Deutschland bislang häufig der urheberrechtliche Schutz versagt (z.B. OLG Hamm, Urt. v. 26. Juni 1992, Az. 4 U 100/92; vgl. auch fr. Cour de Cassation, Urt. v. 7. Oktober 2020, Az. D 18-19.441). Dem hat der EuGH nun einen Riegel vorgeschoben.
2. Sachverhalt und Verfahrensgang
In der Sache ging es um eine angebliche Nachahmung des von Vitra hergestellten „Dining Sidechair Wood“. Dabei handelt es sich um einen Stuhl, der von dem inzwischen verstorbenen US-amerikanischen Ehepaar Charles und Ray Eames entworfen wurde und daher auch als „Eames Chair“ bekannt ist. Die Beklagte, Kwantum, betreibt eine Kette von Möbelgeschäften in den Niederlanden und in Belgien. Vitra sah in dem von Kwantum verkauften „Paris Chair“ eine Verletzung ihrer Urheberrechte an dem Eames-Stuhl und erhob Klage vor den niederländischen Gerichten.
Die Rechtbank Den Haag sah in erster Instanz keine Rechtsverletzung und wies die Klage ab. Der daraufhin angerufene Gerechtshof Den Haag kam zum gegenteiligen Ergebnis, bejahte eine Verletzung der Urheberrechte von Vitra und gab der Klage statt. Das anschließende Revisionsverfahren setzte der Hoge Raad der Nederlanden aus und legte dem EuGH fünf Auslegungsfragen vor, die im Wesentlichen das Verhältnis von Art. 2 Abs. 7 RBÜ zum Unionsurheberrecht betrafen.
3. Die Entscheidung des EuGH
Im Ergebnis stellt der EuGH fest, dass das Unionsurheberrecht es den Mitgliedstaaten verwehrt, den Grundsatz der materiellen Gegenseitigkeit nach Art. 2 Abs. 7 RBÜ auf Werke der angewandten Kunst anzuwenden, deren Ursprungsland ein Drittstaat und deren Urheber ein Drittstaatsangehöriger ist.
Zu diesem Ergebnis gelangt der EuGH, indem er in einem ersten Schritt feststellt, dass Art. 2 lit. a und Art. 4 Abs. 1 RL/2001/29 (Urheberrechtsrichtlinie) auch auf Werke der angewandten Kunst Anwendung finden, deren Ursprungsland ein Drittstaat ist oder deren Urheber ein Drittstaatsangehöriger ist. Maßstab für den urheberrechtlichen Schutz sei nicht die geographische Herkunft des Werkes oder seines Urhebers, sondern allein, ob der betreffende Gegenstand die materiellen Schutzvoraussetzungen erfüllt. Zudem wäre das Ziel der Richtlinie, den Urheberrechtsschutz im Binnenmarkt zu harmonisieren, gefährdet, wenn in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Voraussetzungen für den Schutz von Werken der angewandten Kunst aus Drittstaaten bestünden. Die Urheberrechtsrichtlinie sei daher stets anzuwenden, wenn für ein Werk urheberrechtlicher Schutz im Binnenmarkt begehrt werde.
In einem zweiten Schritt führt der EuGH aus, dass das Urheberrecht durch Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte (GRCh) geschützt sei und die Anwendung von Art. 2 Abs. 7 RBÜ einen Eingriff in dieses Grundrecht darstelle, der nach Art. 52 Abs. 1 GRCh gesetzlich vorgesehen sein müsse. Da der Unionsgesetzgeber das Urheberrecht harmonisiert habe, stehe es auch nur ihm – und nicht den Mitgliedstaaten – zu, darüber zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen der grundsätzlich vorgesehene Urheberrechtsschutz eingeschränkt werden solle.
4. Bedeutung des Urteils und Hinweise für die Praxis
Die Entscheidung ist in ihrer Bedeutung kaum zu unterschätzen. Sie schafft nicht nur wichtige Rechtsklarheit, sondern stärkt vor allem den Schutz von Rechteinhabern mit Sitz außerhalb der Europäischen Union, etwa in den USA. Damit eröffnen sich neue Rechtsschutzmöglichkeiten: Sofern der betreffende Gegenstand die Voraussetzungen für den Schutz als Werk der angewandten Kunst nach den Maßstäben des Unionsrechts erfüllt, kann ihm der urheberrechtliche Schutz in der Europäischen Union nicht mehr versagt werden. Der Nachweis des Urheberrechtsschutzes im Herkunftsstaat ist künftig nicht mehr erforderlich. Damit werden die Hürden für die Rechtsdurchsetzung in der Europäischen Union ebenso gesenkt wie deren Komplexität und Kosten.
Neben der gerichtlichen Verfolgung von Rechtsverletzungen in der Europäischen Union ebnet die Entscheidung auch den Weg für Grenzbeschlagnahmeanträge, um die Einfuhr rechtsverletzender Produkte bereits an den Außengrenzen der Union zu verhindern.
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