Birkenstock – Urheberrecht für die Füße?
Der BGH hat heute seine mit Spannung erwartete Entscheidung in Sachen Birkenstock verkündet.
Wie nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung schon zu erwarten war, hat der Gerichtshof dem Urheberrechtsschutz für die bekannten Sandalen eine Absage erteilt. Dieses Urteil macht einmal mehr deutlich: Es kommt bei Werken der angewandten Kunst auf die künstlerische Ausschöpfung des verbleibenden Gestaltungsspielraums an, wobei eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe von Werken der angewandten Kunst gefordert wird.
Lange Zeit hatte die Birkenstock-Sandale den Ruf einer Gesundheitslatsche. Doch inzwischen dürfte klar sein: Es handelt sich bei diesen Tretern um ein Phänomen, das „Kult“ geworden ist. Die Schlappen, die erstmals 1774 von einem Schuhmacher namens Birkenstock hergestellt wurden und in den 60er Jahren vorrangig von der Generation Woodstock getragen wurden, erleben spätestens seit 2013 einen ungeahnten Hype. Getragen von Stars und Supermodels und aufgepeppt mit Pelzbesatz oder Glitzerlook sind sie als „Kontrast zu schönerer Bekleidung“ (Gaultier) plötzlich salonfähig geworden.
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Doch ist das Schuhwerk auch ein Kunstwerk? Hier gehen die Meinungen auseinander.
Am 9. Januar 2025 verhandelte der BGH zu der Frage, ob die klassische Birkenstock-Sandale als Werk angewandter Kunst einzustufen ist und damit Urheberrechtsschutz genießt. Gegenstand der Verhandlung waren drei Klagen des Schuhherstellers aus Linz am Rhein gegen die Wettbewerber Tchibo (Az. I ZR 17/24), Bestseller (Dänemark) (Az. I ZR 16/24) sowie die Detmolder Wortmann-Gruppe, welche die Handelsplattform Shoe.com betreibt (Az. I ZR 18/24). Die beklagten Unternehmen hatten Sandalen verkauft, die den Birkenstock-Modellen „Madrid“, „Arizona“ und „Gizeh“ ähnlich waren:
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Das Oberlandesgericht Köln hatte den Urheberrechtsschutz für die Modelle „Madrid“, „Arizona“ und „Gizeh“ in drei Entscheidungen (OLG Köln, Urteil vom 26.01.2024, 6 U 86/23; OLG Köln, Urteil vom 26.01.2024, 6 U 85/23 und OLG Köln, Urteil vom 26.01.2024, 6 U 89/23) – anders als noch das Landgericht Köln (LG Köln, Urteil vom 11.05.2023, 14 O 39/22; LG Köln, Urteil vom 11.05.2023, 14 O 41/22; LG Köln, Urteil vom 11.05.2023, 14 O 121/22) und anders auch als das Oberlandesgericht Hamburg in einem einstweiligen Verfügungsverfahren betreffend das Modell „Madrid“ (OLG Hamburg, Beschluss vom 14.10.2021, 5 W 40/21) – jedoch verneint und ausgeführt, dass die Sandalen die nach der Rechtsprechung des EuGH und des BGH zu stellenden Anforderungen an ein Werk im Sinne des Urheberrechts nicht erfüllten.
Bereits in der mündlichen Verhandlung hatte der I. Zivilsenat des BGH erkennen lassen, dass er der Argumentation des OLG Köln zuneigte. Der Vorsitzende Richter Thomas Koch betonte, dass für die Definition eines Werkes der angewandten Kunst eine bestimmte Gestaltungshöhe erforderlich sei und die Darlegungslast hierfür bei der Partei liege, die sich auf das Urheberrecht berufe. Bei Gebrauchs- und Alltagsgegenständen sei dabei genau zu prüfen, ob eine hinreichende schöpferische und gestalterische Leistung vorliege. Er sah sich in der Verhandlung dem Vorwurf des Birkenstock-Anwalts Christian Rohnke ausgesetzt, die Anforderungen zu hoch zu schrauben und damit de facto auf zweckfreie Kunstwerke zu beschränken, die nicht zur kommerziellen Nutzung bestimmt seien. Die Birkenstock-Sandale sei schließlich der „Porsche unter den Sandalen“ und müsse daher Urheberrechtsschutz genießen.
Gebrauchsgegenstände wie Sandalen sind nicht per se vom Urheberrechtsschutz ausgeschlossen. Sie gelten als Werke der angewandten Kunst, die sich von „klassischen“ reinen Kunstwerken dadurch unterscheiden, dass sie einen Gebrauchszweck haben.
Bei derartigen Werken der angewandten Kunst ist genau hinzuschauen, ob die Form und Gestaltung des Gegenstandes nur technisch bedingt und durch seinen Verwendungszweck vorgegeben ist oder ob er darüber hinaus künstlerisch und kreativ gestaltet ist.
Dreh- und Angelpunkt der Diskussion ist dabei der Begriff der persönlichen geistigen Schöpfung. Denn nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG gehören Werke der bildenden Kunst einschließlich der angewandten Kunst (nur) dann zu den urheberrechtlich geschützten Werken, wenn sie persönliche geistige Schöpfungen im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG sind.
Als eine persönliche geistige Schöpfung zählt dabei eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann.
Dies entspricht auch dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werkes im Sinne der Richtlinie 2001/29/EG (sogenannte InfoSoc-Richtlinie), welcher durch die Rechtsprechung des Europäische Gerichtshofs (EuGH) konkretisiert wurde. Danach muss das Werk eine eigene geistige Schöpfung sein, also die persönliche Note des Schöpfers tragen und nicht nur eine rein mechanische oder handwerkliche Nachbildung bestehender Formen oder Ideen sein. Das Werk muss Ausdruck der Individualität des Urhebers sein und seine Persönlichkeit widerspiegeln.
Werke der angewandten Kunst und Gebrauchsgegenstände können danach dann Urheberrechtsschutz genießen, wenn sie eine ausreichende Schöpfungshöhe aufweisen. Ist die Schaffung des Gegenstandes hingegen durch technische Erwägungen oder andere Vorgaben oder Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum lassen, fehlt es an einer persönlichen geistigen Schöpfung mit der erforderlichen Schöpfungshöhe.
Entscheidend ist, ob der neben den notwendigen funktionalen Merkmalen des Gegenstandes vorhandene Gestaltungsspielraum künstlerisch ausgenutzt wurde. Wer Urheberrechtsschutz für Gebrauchsgegenstände in Anspruch nehmen will, muss genau darlegen und nachweisen, dass und inwieweit der Gegenstand über die technisch bedingten und von der Funktion vorgegebenen Formen hinaus künstlerisch gestaltet ist und vorhandene Spielräume für freie kreative Entscheidungen und ästhetische Gestaltungen genutzt wurden, die nicht durch funktionale Erwägungen geprägt sind (BGH, Urteil vom 12.05.2011, I ZR 53/10 – Seilzirkus).
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Zu Gunsten der Klägerin war der BGH dabei im Einklang mit seiner Geburtstagszug-Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 13.11.2013, I ZR 143/12 – Geburtstagszug) davon ausgegangen, dass bei Werken der angewandten Kunst nicht grundsätzlich und vornherein strengere Anforderungen an die Schöpfungshöhe zu stellen sind als bei Werken der zweckfreien bildenden Kunst.
Eine Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des BGH in Sachen USM Haller (BGH, Vorlagebeschluss vom 21.12.2023, I ZR 96/22) hatte das OLG Köln daher ebenso wie der BGH nicht als erforderlich erachtet.
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Der Vorlagebeschluss stellt dem EuGH unter anderem genau diese Frage, ob nämlich bei Werken der angewandten Kunst zwischen dem geschmacksmusterrechtlichen und dem urheberrechtlichen Schutz ein Regel-Ausnahme-Verhältnis dergestalt besteht, dass bei der urheberrechtlichen Prüfung der Originalität dieser Werke höhere Anforderungen an die freien kreativen Entscheidungen des Schöpfers zu stellen sind als bei anderen Werkarten.
Der BGH betont ebenso wie zuvor das OLG Köln und im Einklang mit der Geburtstagszug-Rechtsprechung, dass insbesondere mit Hinblick auf die lange urheberrechtliche Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe von Werken der angewandten Kunst zu fordern sei.
Der BGH sah ebenso wie schon zuvor das OLG Köln diese erforderliche Schöpfungshöhe bei den Birkenstock-Sandalen nicht als gegeben an. Die vorhandenen Spielräume in der Gestaltung seien technisch vorgegeben und nicht Ausdruck kreativer Freiheit. Die Gestaltung der Gesundheits-Sandalen sei primär durch orthopädische und funktionale Erwägungen geprägt und am Aspekt der Fußgesundheit orientiert und weise keine hinreichenden künstlerischen Elemente auf.
Bei der Beurteilung der erforderlichen Gestaltungshöhe sei zu berücksichtigen, dass die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen kann, soweit sie nicht dem Gebrauchszweck geschuldet ist, sondern auf einer künstlerischen Leistung beruht. Die Auswahl zwischen verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten allein begründe dabei noch keine schöpferische Leistung.
Die Gestaltung der Sohle, des Schafts und der Riemenkonstruktion der Sandalen hebe sich in künstlerisch-origineller Weise nicht hinreichend deutlich aus dem bekannten Formenschatz und der Masse des alltäglichen Schaffens hervor und ist nach Auffassung des Gerichts nicht von einer objektiv erkennbaren Ausübung künstlerischer Freiheit geprägt.
Lehreiche Ausführungen enthält an dieser Stelle schon das Urteil des OLG Köln (OLG Köln, Urteil vom 26.01.2024, 6 U 86/23) zum Verhältnis von Urheber- und Designschutz.
Während es beim Design um die Umsetzung einer Funktion in eine Form gehe (‚form follows function“), die „einerseits neuartig ist, andererseits aber vom Markt noch gerade akzeptiert wird (MAYA – most advanced yet accepted, nach Raymond Loewy, Industrial Design, Berlin 1979, S. 20 ff.)“, gehe es beim Urheberschutz „um eine persönliche individuelle Gestaltung, die keinerlei Funktionserfordernissen genügen muss, sondern zweckfrei für sich selbst steht (…)“.
„Kunst beginnt mit einer Idee, Design mit einer Aufgabe“.
Nicht geklärt werden musste in diesem Verfahren nach Auffassung des Gerichts auch die weitere dem EuGH im Vorlagebeschluss USM Haller (BGH, Vorlagebeschluss vom 21.12.2023, I ZR 96/22) vorgelegte Frage, ob ein Indiz für das Vorliegen einer künstlerischen Leistung auch darin zu sehen sein kann, dass der Gebrauchsgegenstand in Kunstausstellungen oder Kunstmuseen aufgenommen wurde, da die Birkenstock-Klassiker ausschließlich in Designmuseen und Designausstellungen gezeigt und gewürdigt wurden.
Ebenfalls offen gelassen werden konnte aus Sicht von OLG Köln und BGH die dritte Vorlagefrage des USM Haller-Beschlusses (BGH, Vorlagebeschluss vom 21.12.2023, I ZR 96/22), ob auch auf die subjektive Sicht des Schöpfers auf den Schöpfungsprozess abzustellen sei und er die freien kreativen Entscheidungen bewusst treffen müsse, damit sie als freie kreative Entscheidungen im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union anzusehen sind. Hierzu fehlte es schon an einem schlüssigen Vortrag und Beweisangebot.
Für die Beurteilung des Urheberschutzes eines Gebrauchsgegenstandes gelten danach folgende Eckpunkte:
- Grundsätzlich sind Designrecht und Urheberrecht nebeneinander anwendbar.
- Es besteht kein Stufenverhältnis, allerdings gilt tendenziell ein Regel-/Ausnahmeverhältnis: ein Gebrauchsgegenstand wird die Voraussetzungen des Urheberschutzes seltener erfüllen als die Voraussetzungen des Designschutzes.
- Bei Gebrauchsgegenständen ist der Spielraum für die erforderliche künstlerische Leistung kleiner.
- Für die Beurteilung der Schöpfungshöhe kommt es nur auf den Zeitpunkt der Gestaltung an.
- An die Gestaltungshöhe sind nicht zu geringe Anforderungen zu stellen.
- Die Darlegungs- und Beweislast für die künstlerische Ausschöpfung des Gestaltungsspielraums liegt beim Schöpfer.
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