Gerichtliche Zuständigkeit bei lauterkeitsrechtlichen Klagen gegen einen Vertragspartner
1. Hintergrund und Sachverhalt
Der Kläger, ein in Berlin ansässiger Journalist, betrieb einen Kanal auf der Internetplattform der Beklagten, einer Gesellschaft mit Sitz in Irland. Die Plattform der Beklagten dient in erster Linie als Videoportal und wird von verschiedenen privaten und gewerblichen Nutzern, darunter auch journalistischen Medien, genutzt.
Der Kläger stellte fest, dass sein Kanal von der Beklagten gesperrt worden war. Er beantragte daraufhin beim Landgericht Karlsruhe, die Beklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, die Sperrung aufzuheben und es künftig zu unterlassen, seinen Account zu sperren, zu löschen oder zu kündigen („Verfügungsantrag zu a“). Der Kläger machte geltend, dass die Sperrung seines Kanals seine wettbewerbliche Entfaltung beeinträchtige und daher eine unlautere gezielte Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 4 UWG darstelle.
Darüber hinaus beantragte der Kläger, der Beklagten insgesamt – also nicht nur ihm gegenüber – die Verwendung bestimmter Klauseln ihrer „Nutzungsbedingungen“ zu untersagen, die nur für Nutzer mit Wohnsitz in Deutschland gelten („Verfügungsantrag zu b“). Diese seien AGB-rechtlich unzulässig und ihre Verwendung daher gemäß § 3a UWG i.V.m. § 307 Abs. 1 BGB unlauter. Die Rechtswidrigkeit ergebe sich daraus, dass sich die Beklagte vorbehalte, nach eigenem Ermessen Inhalte zu entfernen und Accounts zu sperren.
Das Landgericht Karlsruhe hatte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg (OLG Karlsruhe, Urt. v. 8.Mai 2024,Az.6U198/23).
2. Rechtliche Würdigung durch das Gericht
Das Gericht nimmt eine lehrbuchmäßige Prüfung der in Betracht kommenden Zuständigkeitsnormen vor. Die Zuständigkeit könne sich nur ergeben, wenn der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO im betreffenden Gerichtsbezirk eröffnet sei. Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 7 Nr. 1 EuGVVO komme hingegen nicht in Betracht, da die Beklagte ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Kläger an ihrem Sitz zu erfüllen habe, der Erfüllungsort also in Irland liege.
Zur Prüfung der Zuständigkeit für die geltend gemachten Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb grenzt das Gericht sodann im Lichte der Wikingerhof-Entscheidung des EuGH den Gerichtsstand des Erfüllungsorts vom Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ab. Danach hängt die Frage, ob eine unter Vertragspartnern erhobene Klage als vertraglich i.S.v. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO oder als deliktisch im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zu qualifizieren ist, davon ab, ob die der Klage zugrunde liegende Verpflichtung vertraglicher oder deliktischer Natur ist. Die Klage ist vertraglicher Natur, wenn eine Auslegung des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags „unerlässlich“ erscheint, um festzustellen, ob das beanstandete Verhalten rechtmäßig oder rechtswidrig ist.
Vor diesem Hintergrund verneint das Gericht die Zuständigkeit für den Verfügungsantrag zu a, der auf die Aufhebung der Kanalsperre gerichtet war, nicht gegeben. Der Anspruch sei zwar auf das Lauterkeitsrecht gestützt und damit grundsätzlich als deliktisch zu qualifizieren. In der Sache begehre der Kläger aber die Unterlassung der Nichterfüllung (= Erfüllung) vertraglicher Pflichten durch die Beklagte. Denn ohne Vertragsverhältnis bestehe kein Anspruch auf Nutzung der Plattform. Für die Frage, ob sich die Sperrung des Kanals als unlautere Behinderung darstelle, komme es daher auf die Auslegung des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages an. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn sich der Kläger auf einen gesetzlichen Kontrahierungszwang berufen könne.
Für den Verfügungsantrag zu b, der auf die Unterlassung der Verwendung bestimmter AGB-Klauseln gerichtet war, sah das OLG hingegen den Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO als eröffnet an. Denn über die Wirksamkeit der AGB entscheide nicht die vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien, sondern eine Prüfung nach §§ 305 ff. BGB. Eine Auslegung des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages sei insoweit nicht erforderlich.
Bei der anschließenden Lokalisierung des Erfolgsortes geht das Gericht davon aus, dass der Erfolg überall dort eintritt, wo sich die beanstandete Handlung auf den Markt auswirkt. Da der Verfügungsantrag zu b auf die Unterlassung der Verwendung der AGB gegenüber jedermann gerichtet sei, sei (auch) die Zuständigkeit des Landgerichts Karlsruhe gegeben. Denn die Beklagte verwende die AGB-Klauseln gegenüber Nutzern im gesamten Bundesgebiet. Insoweit weist das Gericht darauf hin, dass für einen Unterlassungsanspruch, der sich nur auf die Verwendung der AGB gerade im Vertragsverhältnis mit dem Kläger bezieht, der Erfolgsort nur am Wohnsitz des Klägers (Berlin) zu lokalisieren gewesen wäre.
In der Sache verneint das Gericht anschließend aber ein konkretes Wettbewerbsverhältnis und damit die Aktivlegitimation des Klägers. Da die Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangen ist, ist der Rechtsweg erschöpft und das Urteil rechtskräftig.
3. Kommentar und Praxishinweis
Die in jeder Hinsicht lesenswerte Entscheidung enthält eine – nicht nur im Rahmen eines Verfügungsverfahrens – bemerkenswerte, lehrbuchmäßige Prüfung der internationalen und örtlichen Zuständigkeit.
Aus Sicht eines deutschen Klägers bzw. Antragstellers ist es bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten in der Regel wünschenswert, ein deutsches Gericht anrufen zu können. So bewegt man sich auf vertrautem Terrain und kann häufig auf bereits vertraute Rechtsanwälte zurückgreifen. Die Tücken des durch eine umfangreiche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geprägten Zuständigkeitsrechts werden in der Praxis jedoch häufig unterschätzt. So kommt es etwa bei Klagen zwischen Vertragspartnern für die Bestimmung der anwendbaren Zuständigkeitsnorm entscheidend darauf an, ob eine Auslegung des Vertrages „unerlässlich“ ist, um die Rechtmäßigkeit des beanstandeten Verhaltens zu klären. Das gilt gerade auch dann, wenn ein Verstoß gegen eine gesetzliche Verpflichtung geltend gemacht wird. Neben dem hier behaupteten Wettbewerbsverstoß ist dies beispielsweise bei der Verwendung angeblich kartellrechtswidriger Klauseln in einem Vertrag relevant.
Aus Sicht des Klägers ist daher bei der Wahl des Gerichtsstands Vorsicht geboten, um nicht eine Klageabweisung mangels Zuständigkeit zu riskieren, die immer ärgerlich ist, im Verfügungsverfahren aber wegen der laufenden Dringlichkeitsfrist entscheidende Zeit kosten kann. Aus Sicht des Beklagten wiederum lohnt es sich, genau zu prüfen, ob das angerufene Gericht tatsächlich für den Rechtsstreit zuständig ist – nicht nur, aber insbesondere dann, wenn der Sitz des Unternehmens nicht im Gerichtsstaat liegt. Denn im vorliegenden Fall wären für den Anspruch auf Aufhebung der Account-Sperre allein die Gerichte am Sitz der Beklagten in Irland zuständig gewesen – und zwar unabhängig davon, ob der Anspruch auf die Verletzung des Vertrages oder eine unlautere Behinderung gestützt wird.
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