Ausgespielt: Cheat-Software „Action Replay“ verletzt keine Urheberrechte des Spieleherstellers
1. Sachverhalt und technischer Hintergrund
Die Beklagte, das britische Unternehmen Datel, entwickelt, produziert und vertreibt das streitgegenständliche Programm „Action Replay“. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Cheat-Software, die speziell für Spielkonsolen wie Game Boy, Nintendo DS, PlayStation 2 und PlayStation Portable (PSP) entwickelt wurde. Sie ermöglicht es den Nutzern, den Programmablauf von Videospielen zu manipulieren, indem Variablen im Arbeitsspeicher der Konsole überschrieben werden. So können Spieler die im Spiel enthaltenen Beschränkungen umgehen, indem sie beispielsweise bestimmte Spielfiguren früher und unabhängig vom Spielfortschritt freischalten oder bestimmte Funktionen (z. B. eine Turbo-Funktion in einem Rennspiel) unbegrenzt nutzen.
Action Replay läuft auf der jeweiligen Konsole – im entschiedenen Fall der PSP – als separates Programm im Hintergrund und unabhängig vom laufenden Spiel. Über ein separates Menü kann der Spieler die gewünschten Cheats aktivieren. Die eigentliche Spielsoftware bleibt dabei unverändert, ebenso wie deren Programmbefehle. Verändert werden jedoch die von der Spielsoftware gezielt im Arbeitsspeicher abgelegten und für den Spielablauf relevanten Daten, wodurch in das vom Spieleentwickler vorgesehene Spielerlebnis und den beabsichtigten Spielablauf eingegriffen wird.
Sony, die Herstellerin unter anderem der Playstation-Konsolen einschließlich der PSP (bis 2014) sowie dazugehöriger Spiele, sah in diesem Vorgang eine Verletzung ihrer Urheberrechte an ihren Spielen und nahm Datel auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.
2. Der Rechtsstreit und die Entscheidung des EuGH
Rechtlicher Kernpunkt des Rechtsstreits war gerade die Frage, ob die – unstreitig als „Computerprogramm“ urheberrechtlich geschützte – Spielesoftware im Sinne von § 69c Nr. 2 UrhG „umgearbeitet“ wurde. Die Beklagte verteidigte sich mit dem Argument, die Software nehme keine Veränderungen am Spielcode selbst vor, sondern lediglich an den im Arbeitsspeicher der Konsole gespeicherten Variablen.
In erster Instanz gab das LG Hamburg (Urteil vom 24. Januar 2012, Az. 310 O 199/10) der Klage von Sony überwiegend statt. Der Begriff der „Umarbeitung“ in § 69c Nr. 2 UrhG sei weit zu verstehen und erfasse jede Veränderung eines Computerprogramms. Eine Veränderung der Programmsubstanz sei nicht erforderlich, vielmehr genüge ein Eingriff in den Programmablauf durch externe Befehle.
Das OLG Hamburg (Urteil vom 7. Oktober 2021, Az. 5 U 23/12) wies die Klage in der Berufungsinstanz hingegen ab. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass keine Veränderung der Programmsubstanz vorgenommen oder eine abgeänderte Vervielfältigung der Software hergestellt, sondern lediglich auf deren Ablauf Einfluss genommen werde. Der programmgemäße Ablauf eines Computerprogramms sei aber nicht Schutzgegenstand von § 69a UrhG und folglich auch nicht über § 69c UrhG gegen externe Einflussnahme geschützt.
Das anschließende Revisionsverfahren hat der BGH mit Beschluss vom 23. Februar 2023 (Az. I ZR 157/21) ausgesetzt. Da die §§ 69a ff. UrhG auf der Richtlinie 2009/24/EG („Computerprogramm-Richtlinie“) beruhen, legte er die streitentscheidenden Fragen über deren Auslegung dem EuGH vor. Insbesondere wollte der BGH wissen, ob in den Schutzbereich eines Computerprogramms eingegriffen wird, wenn nicht der eigentliche Quell-/Objektcode oder dessen Vervielfältigung verändert wird, sondern ein parallel laufendes Programm (= Action Replay) den Inhalt von Variablen im Arbeitsspeicher verändert.
Der EuGH hat nun in seinem Urteil vom 17. Oktober 2024, Az. C-159/23 im Wesentlichen die Rechtsauffassung des OLG Hamburg bestätigt und klargestellt, dass sich der urheberrechtliche Schutz von Computerprogrammen nach der Richtlinie 2009/24/EG auf die geistige Schöpfung beschränkt, die im Text des Quell- und des Objektcodes ihren Niederschlag findet, sich also als eine Folge von Befehlen darstellt, nach denen der Computer die vom Urheber des Programms vorgesehenen Aufgaben ausführen soll. Folglich erstreckt sich der Schutzbereich des Computerprogramms nicht auf den Inhalt von Variablen, welche die Spielesoftware vorübergehend im Arbeitsspeicher der Konsole angelegt hat. Die Einwirkung auf diese Variablen mit der Folge, dass das Spiel auf Basis der von außen veränderten Variablen abläuft, sei daher urheberrechtlich nicht zu beanstanden.
Der Fall geht nun zurück an den BGH, der unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des EuGH zu entscheiden hat.
3. Einordnung und Praxishinweise
Aufgrund mehrerer Generationswechsel in der Spieleindustrie seit 2010, dem Ausgangsjahr des Rechtsstreits, dürfte die PSP ebenso wie die konkret streitgegenständliche Cheat-Software nur noch für ein Nischenpublikum interessant sein. Gleichwohl haben die Entscheidung des EuGH und ihre abstrakten Aussagen über diesen Einzelfall und die Spielebranche hinaus einige Bedeutung und Relevanz für Softwareentwickler.
Für Entwickler von Cheat- oder sonstiger Modifikationssoftware bringt das Urteil eine wichtige Klarstellung: Temporäre Veränderungen, die sich ausschließlich auf Variablen im Arbeitsspeicher beziehen und keine Änderungen am Quellcode eines Programms vornehmen, sind urheberrechtlich nicht zu beanstanden. Dennoch ist Vorsicht geboten, denn die Entscheidung gibt keineswegs grünes Licht für Schummelsoftware insgesamt. Vielmehr bedarf es stets einer Einzelfallprüfung der genauen Funktionsweise der jeweiligen Software. Zudem sollte die Entscheidung nicht darüber hinwegtäuschen, dass Cheat-Software im Einzelfall auch wettbewerbsrechtlich kritisch sein kann, wie der BGH bereits in seiner „World of Warcraft II“-Entscheidung festgestellt hat.
Für Spieleentwickler und andere (Software-) Rechteinhaber insgesamt stellt das Urteil hingegen eine Herausforderung dar, da der Schutz der Integrität ihrer Spiele mit den Mitteln des Urheberrechts begrenzt ist. Können keine ausreichenden technischen Schutzmaßnahmen gegen die Manipulation von Daten im Arbeitsspeicher oder andere Anti-Cheating-Mechanismen implementiert werden, bleiben in jedem Fall Anspruchsgrundlagen außerhalb des Urheberrechts zu prüfen.
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